Fabio trat nach einem dreimonatigen Klinikaufenthalt auf der Akutstation und einer anschliessenden Psychotherapie vor dreieinhalb Jahren ins Dialogos ein. In der Klinik wurde ihm eine betreute Wohnform empfohlen, da er sich stark zurückgezogen hatte. Er litt unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und seine Ängste hinterten ihn zunehmend, seinen Alltag zu bewältigen. Alles Neue und die Zukunft bereiteten ihm Angst, die schlaflosen Nächte prägten sein Leben. Tagsüber schlief er vor Erschöpfung und begann sich und seine Körperhygiene zu vernachlässigen, er fühlte sich niedergeschlagen, reduzierte sein soziales Umfeld auf wenige Menschen und vermied bald alles, was zum alltäglichen Leben gehörte. Er war 22 Jahre alt und es dauerte mehrere Monate, bis die Kostengutsprache bewilligt wurde. Er hatte keine Ausbildung, keine Existenzgrundlage – nur seinen Rucksack mit traumatischen Ereignissen, die ihn lähmten und in eine physische und psychische Verwahrlosung führten. Er habe ein Jahr als Kleinkindererzieher geschnuppert und sei 9 Monate in England gewesen. Dort hätte er eine herzige Chinesin getroffen, die immer wieder Kontakt zu ihm gesucht hätte.
Als er im Dialogos eintrat fiel er durch seine feinfühlige und stille Art auf. Er war freundlich und wurde von den Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern und dem Betreuungs- und Pflegeteam bereits ab dem ersten Tag geschätzt. Im Gespräch für den Jahresbericht fragte ich ihn, wie er seine Jahre im Dialogos erlebte.
Fabio lacht und meint: «Ich war sehr scheu und unsicher, als ich kam. Nachdem ich mich an die Betreuung und die Mitbewohnenden gewöhnt habe, bin ich richtig frech geworden». Ich ergänze ihn und gebe ihm die Rückmeldung, dass ich ihn auch humorvoll einschätze. Fabio erzählt, dass sich seine Eltern getrennt hätten, als er 10 Jahre alt war. Mit seinem Bruder sei er nicht klargekommen. Erst nach vielen Monaten im Dialogos seien seine Erinnerungen und Erlebnisse hochgekommen und er habe es geschafft, darüber zu sprechen. Das sei für ihn ein wichtiger Schritt gewesen. Nicht mehr zu verdrängen, was war und seine Gefühle nicht zu ignorieren. Durch das Ansprechen sei immer mehr an die Oberfläche gesprudelt. Das habe ihm Druck weggenommen und er habe Angst abgebaut, indem er die Bezugsperson, seinen Therapeuten und das Team immer besser kennengelernt habe. «Es geht nicht immer nur vorwärts, auch Rückschritte sind ein Teil von meinem Prozess. Wenn es bei mir eskaliert, was selten vorkommt, dann ist das wohl nicht vergleichbar mit anderen, da ich ein ruhiger Mensch bin. Doch ich kann stur und in der Wortwahl aggressiv sein. Ich lernte, Trotz und Wut zu zeigen, um offener und ehrlicher zu werden. Wenn ich früher diese Gefühle zeigte, habe ich Gewalt erlebt, soweit ich mich erinnern kann. Ein Pausenknopf wäre für mich manchmal hilfreich. Nach den schlaflosen Nächten erlebe ich zwei Seiten in mir, die eine möchte sich verletzen, die andere ist froh, wenn es nicht soweit kommt und ich mit dem Team klären kann oder Unterstützung bekomme. In mir ist es laut und die Gedanken sind alles andere entspannt. Den Druck, den ich erlebe, habe ich mir oft selbst aufgebürdet. Ich habe mir nicht eingestanden einmal auf die Bremse zu stehen, ich wollte immer 100%ig zuverlässig sein. Meine Versagensängste haben stets zugenommen. Die Schlaflosigkeit entwickelte sich, da ich immer bereit sein muss, um Termine oder Anforderungen zu zu bewältigen.»
Wo siehst du dich in der nächsten Zeit und was wünschst du dir für deine Zukunft? «Ich habe mir häufig zu viele Ziele gesetzt, wie z.B. Ausbildung, Fahrprüfung, Wohnung. Nun möchte ich mir Zeit lassen, auch für einen Wechsel in die Stadtwohnung. Und eines Tages, wenn ich mich wieder ganz auf mich verlassen kann, dann möchte ich Hunde züchten oder ein Heim für problematische Tiere aufbauen. Den meisten Menschen mag nicht wirklich bewusst sein, was es bedeutet, über viele Jahre für ein Tier zu sorgen. Sie unterschätzen oder vergessen, dass ein Hund nicht nur ein Haustier sondern ein Familienmitglied ist.»
Wie ermöglicht Dialogos deine Entwicklung? «Ich lerne, dass es nach einer bewältigten Krise immer leichter wird, weiterzugehen. Ich übe mich darin, Dinge anzusprechen, die mich stören. Ich mache die Erfahrung, dass es sich lohnt, Kritik direkt auszusprechen. Fremde Orte und neue Kontakte vermeide ich noch immer, doch es war noch viel ausgeprägter. Ich versuche mir die Bewegungsfreiheit, also wieder unterwegs zu sein, wieder zurückzuerobern. Manchmal hilft es mir, wenn ich dann Stöpsel in den Ohren habe. Ich versuche Unterstützung anzunehmen, um das, was ich aufschiebe, anzupacken. Wenn ich etwas erreicht habe, so lauert die Angst bereits hinter der nächsten Ecke oder bereitet mir wieder eine schlaflose Nacht. Vor drei Jahren habe ich wieder begonnen mit Musik und nun singe oder spiele ich im Essraum oder im Zimmer Gitarre. So kann ich meine Emotionen leben. Musik ist ein Teil von mir, von meinem Herzen und von meiner Seele.»