Rosalie trat 2006, nach einem knapp zweijährigen Aufenthalt im Dialogos aus. Sie lebt seither in einer gemütlichen Wohnung, umgeben von ihren Bildern und ist 39 Jahre alt. Sie hat einen Abschluss als Pflegefachfrau Diplomniveau I und arbeitete nach dem Austritt in Teilzeit im Altersheim. Eigentlich wäre eine berufliche Massnahme über die IV geplant gewesen, diese hätte man ihr aufgrund ihrer Borderlinediagnose abgesagt. Das habe sie sehr verletzt. Immer wieder erlebe sie Stigmatisierung und werde schlecht behandelt. Im Spital z.B. bei chirurgischen Eingriffen, die nach einer Selbstverletzung notwendig waren, werde sie gemieden und kaum gefragt, wie es ihr gehe. Als ihr die Arbeit zu streng wurde, kündigte sie und engagierte sich anschliessend in verschiedenen Bereichen. Seit einigen Jahren arbeitet sie bei SintegrA – einem Betreuungsdienst. Die Ausbildung bei der IntegrA sei kostspielig und die IV habe ihr keine Kostengutsprache gemacht. Da die Leitung des Kurses an sie geglaubt habe, wurde sie als Ausnahme zugelassen. Sie verbringt jede Woche Zeit mit zwei Personen, die auf sie warten. Ein pflegebedürftiger Mensch im Rollstuhl, wohnhaft in Zürich und ein pensionierter IV-Rentner. Der Beistand hätte den Besuchsdienst über SintegrA in die Wege geleitet. Sie lebt bescheiden von ihrer Rente, die Eltern unterstützen bei Engpässen. Sie besucht seit Austritt das Atelier zum «Wolf in der Säule», malt Gouache-, Öl- und Aquarellbilder. Sie hatte bereits Ausstellungen und kann während des Malens die Alltagssorgen und Anspannungen hinter sich lassen. Am Freitag kocht sie für 12 Atelierteilnehmer.

Rosalie erinnert sich gut an die Dialogoszeit: «Vor Dialogos war ich in drei anderen betreuten Wohngemeinschaften – dort wurde ich jeweils entlassen, wenn ich mich verletzte. Das Gerede im Dorf wurde befürchtet. So kam ich nach einem Klinikaufenthalt ins Dialogos. In der Klinik war meist mein Essverhalten das Thema. Im Dialogos erlebte ich eine Gemeinschaft und fühlte mich willkommen und akzeptiert, das war sehr wichtig. Ich erinnere mich, dass ich am ersten Dialogostag für das Frühstück geweckt wurde, danach zog ich mich ins Zimmer zurück und legte mich wieder ins Bett. Als die Betreuung kam und mich für die Beschäftigung erneut holte, war es mir sehr peinlich. Ich bemühte mich danach, immer pünktlich bei der Arbeitsverteilung zu erscheinen. Für mich war wichtig, dass ich Freundlichkeit erlebe, dass man nicht wütend wurde, dass ich lachen konnte mit anderen. Ich erinnere mich an eine Mitklientin und an heftige Situationen, trotz allem wurde sie nicht fallengelassen. Den Hauskater Peppino werde ich nie vergessen. Ich legte ein kleines, blaues Kissen auf das Sofa mit dem Katzenkorb, kniete mich nieder, legte den Kopf auf seinen Bauch und lauschte seinem Schnurren. Selber eine Katze zu haben wäre ein Traum, das kann ich mir leider nicht leisten. Als ich mich mit der Diagnose auseinandersetzte, las ich einmal in einem Buch über Borderline-Persönlichkeiten, dass diese Menschen beziehungsunfähig seien. Das zu lesen war harte Kost für mich. Ich wurde streng erzogen und durfte keine Kinder nach Hause bringen. Die Hygiene war wichtig. Oft verstand ich nicht, weshalb man mehrere Tage nicht mit mir sprach, ich schloss mich über Mittag im Zimmer ein und weinte bis ich keine Tränen mehr hatte. In der Schule stand ich alleine da. Ich habe nicht gelernt, mit Beziehungen umzugehen. Zuerst dachte ich, was habe ich falsch gemacht? Daraus wurde: ich bin falsch. Mein Selbstwert leidet bis heute und ich denke dann, dass ich gehen möchte, dass ich eine Belastung bin. Vor drei Jahren habe ich mich auf einen Freund eingelassen, wir werden schrittweise begleitet und es kostet mich Überwindung, nicht aufzugeben. Nähe zulassen ist ein langer Weg. Seit einigen Jahren verletze ich mich nicht mehr – die Scham hat mich immer belastet. Gegen Ende des Aufenthaltes 2007 begann mein Besuch im Mal-Atelier, dieser Ort ist bis heute sehr wichtig. Manchmal werfe ich etwas weg und andere holen es aus dem Papierkorb. Ich kann mich mit der Natur beschäftigen und genau beobachten. Beim Entstehungsprozess eines Bildes kann ich mich weiterentwickeln und wahrnehmen, wie es mir geht».

Christoph Grossglauser war die Bezugsperson von Rosalie und kann sich sehr gut erinnern. Rosalie war für mich wie eine «Modellklientin» für unser Konzept. Damals begleitete die Bezugsperson noch alle Stationen vom Wohnheim bis zum Einzelwohnen und nach Austritt konnte ich sie über den Dialogos-Spitex begleiten. Leider nur noch kurze Zeit. Rosalie ist eine faszinierende Persönlichkeit. Der Einstieg in die Zusammenarbeit war nicht einfach, das Schnuppern musste abgebrochen werden – ich setzte mich für sie ein und für eine Aufnahme. Ihre Fähigkeiten waren immer präsent und doch litt sie unter dem familiären Kontext. Das Verarbeiten von Erfahrungen und Erleben kann sich sehr unterschiedlich auswirken und prägen. Rosalie signalisierte klare Distanz. Anfangs konnte ich nur kurze Gespräche führen und trotzdem spürte ich eine Resonanz, das war sehr gut. Sie konnte ihre Bedürfnisse äussern und ich habe sie gerne begleitet.